Ingrid Schoof

Warum Bewegung

Durch meine Erfahrungen im Bereich Lernberatung und Lerntherapie wurde ich für die Bedeutung von Bewegung für das Lernen sensibilisiert.

Die Frage, warum der Schwerpunkt der Stiftungsarbeit und damit der ausgewählten und geförderten Projekte auf Bewegung liegt, wird immer wieder gestellt. Diese Projekte erscheinen auf den ersten Blick nicht sehr attraktiv und sind auch nicht wie beim Leistungssport in Metern oder Bruchteilen von Sekunden messbar und der Erfolg vergleichbar.

Das Messbare und damit Vergleichbare ist nicht der Ansatz, der hinter dieser Form von Bewegungsförderung steht. Im Mittelpunkt steht ein Bewegungsangebot an das Kind ohne Absicht. Es ist seine Entscheidung, wie es das Angebot umsetzt, je nach Entwicklungsstand, Zutrauen in seine Fähigkeiten und Tagesform.

Hinter den Worten „Verstehen kommt von Stehen“ und „Begreifen kommt von Greifen“ steht die Erkenntnis, dass der Bewegungsentwicklung eines Kindes vom Baby über das Kleinkind bis zum Schulkind eine besondere Bedeutung zukommt. Wenn ein Kind die Chance hatte, alle aufeinander aufbauenden Bewegungsstufen zu durchlaufen und abzuschließen, dann sind Sinne und Bewegung miteinander verknüpft und es besteht eine gute Vernetzung im Gehirn.

Zwei Beispiele:

Raum-Lage-Wahrnehmung
Wenn sich das Kind von der Rücken- in die Bauchlage dreht und sich auf seinen Unterarmen aufstützt, erlebt es neue Dimensionen. Es erkennt oben und unten, rechts und links, vorne und hinten, nah und fern. Diese Raum-Lage-Wahrnehmung ist wichtig für die Wahrnehmung der eigenen Position und von Gegenständen im Raum, für die Entwicklung des Gleichgewichts und des Fokussierens von Gegenständen mit den Augen. Kinder mit einer nicht gut entwickelten Raum-Lage-Wahrnehmung stoßen sich häufig oder rempeln unbeabsichtigt andere Personen an.

Für die Schule ist die Raum-Lage-Wahrnehmung u.a. wichtig für das richtige Schreiben von Buchstaben (Ober-und Unterlängen, geht der „Bauch“ vom b oder d nach rechts oder links?) Das Fokussieren ist eine wichtige Basis für das Erkennen von Buchstaben und das Lesen.

Das innere und das äußere Gleichgewicht sind miteinander verknüpft. „Im Gleichgewicht sein“ bedeutet, körperlich und psychisch „in der Balance“ zu sein. Kinder, bei denen das körperliche Gleichgewicht nicht gut entwickelt ist, geraten leicht aus der inneren Balance, sind leicht ablenkbar, sind nicht „in sich“.

Krabbeln
Krabbeln, das sich aus dem Rollen und Robben entwickelt, ist eine für das Kind wichtige Erfahrung der Fortbewegung und die Vorstufe zum Aufrichten, Stehen und Laufen. Es ist die erste Überkreuzbewegung – bei der rechte Hand, linkes Bein und dann linke Hand und rechtes Bein in Aktion sind – die eine intensive Vernetzung im Gehirn bewirkt. Diese Vernetzung, auch Integration der beiden Gehirnhälften, ist eine wichtige Voraussetzung für das Lernen, bei dem neben logischen Fähigkeiten auch immer intuitive Herangehensweisen zielführend sind, um Aufgaben lösen zu können.

Neben dem Gleichgewicht ist die Integration auch eine sehr wichtige Voraussetzung für die Körperkoordination, wie z.B. beim Laufen, Hüpfen, Springen, Balancieren.

Kommt es zu Störungen oder Verzögerungen in der kindlichen Bewegungsentwicklung, sei es durch Krankheit oder mangelnde Gelegenheiten, so hat das Auswirkungen auf die Entwicklung von Teilleistungen, die für einen guten Schulstart wichtig sind.

Die Entwicklung der Teilleistungen basiert auf Raum, Zeit und der Möglichkeit des Spiels, so wie sie in früheren Zeiten „nebenbei“ im kindlichen Spiel, beim Klettern, Ballspielen, „Hickeln“, Wettrennen, bei Geschicklichkeitsspielen etc. entwickelt wurden.

Veränderte Lebens- und Umweltbedingungen sowie veränderte Gewohnheiten, Spielpräferenzen und Bewegungsmangel führen dazu, dass den Schülern von heute viele dieser Teilleistungen nicht optimal zur Verfügung stehen.

Beobachtungen von Erziehenden in den Kindergärten, Ergebnisse von Schuleingangsuntersuchungen und Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern bestätigen diesen Sachverhalt, der Ansatzpunkt für die Arbeit meiner Stiftung wurde. Die Förderung beginnt in der Krippe, im Kindergarten und wirkt konkret am Übergang vom Kindergarten in die Schule und während der Grundschulzeit.

Gelungene Bewegungsentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung gehen Hand in Hand und bieten eine gute Voraussetzung für einen erfolgreichen Schulstart und einen guten Lern- und Lebensweg.